Liebe Gemeinde,
sicher kennen Sie sie alle diese kleinen, weißen Autos, die durch die Marktgemeinde Wendelstein und durch Kornburg sausen. Twingos, Polos und neuerdings Ups. Oft sieht man sie vor Häusern stehen, manchmal etwas gewagt geparkt. Aber sie stehen ja meist nicht besonders lange dort. Sie machen sich gleich wieder eilig auf den Weg. Man erkennt diese kleinen weißen Autos sofort. "Diakonie Wendelstein" steht auf ihnen in blauen und violetten Lettern geschrieben. Jeden Vormittag und jeden Spätnachmittag und Abend sind sie unterwegs, sieben Tage die Woche, am Rosenmontag genauso wie am Heilig Abend, am Ostermorgen genauso wie in der Silvesternacht. 365 Tage im Jahr. Weil man diejenigen, die in ihnen sitzen, jeden Tag braucht, bei Sonnenschein und bei Wind und Wetter, bei Glatteis und bei Hitzesglut. Meist sind es Frauen, die ihnen entsteigen, selten auch mal ein Mann. Schwestern und Pfleger unserer ambulanten Pflegedienstes sind es. Wie gut dass es sie gibt! Und wie gut, dass wir diese kleinen weißen Autos haben.
Vor Jahrzehnten war die Gemeindeschwester noch mit dem Fahrrad unterwegs. Wenn es schnell gehen musste oder das Wetter saumäßig war oder das Fahrrad platt, hat sie einfach eines der eher wenigen vorbeifahrenden Autos um Mitnahme gebeten. Jeder kannte sie ja, die Gemeindeschwestern von Wendelstein und Kornburg. Jeder erkannte sie in ihrer Tracht der Neuendettelsauer Diakonissen. Als diese in Wendelstein 1964 abgezogen wurden, gab es eine Zeit lang keine eigene ambulante Pflege. Bei Bedarf musste jemand aus Schwabach kommen. Erst 1976 war dann wieder Gertrud Perrey als Gemeindeschwester in Wendelstein tätig, zunächst noch auf dem Fahrrad. Die Karriere der kleinen weißen Autos begann erst 1978 mit einem VW Polo, Baureihe 1.
Warum ich Ihnen das alles erzähle? Die ambulante Pflege steht in diesem Jahr im Mittelpunkt der Frühjahrssammlung der bayerischen Diakonie, die an diesem Sonntag beginnt - und damit halt auch irgendwie im Mittelpunkt dieses Gottesdienstes. Das heißt nicht, dass die anderen Aufgaben unserer Diakonievereins weniger wichtig wären. Natürlich sind uns die Kinder im Sternenhaus genauso wichtig. Natürlich ist uns die stationäre Pflege und die Seniorentagesstätte genauso wichtig – und Essen auf Rädern und unser Kursprogramm. Aber man muss halt auch mal eine Fokus setzten, heute auf die ambulante Pflege.
Wie gut, dass wir sie haben! Dadurch können Menschen so lange wie möglich zuhause in ihren vier Wänden bleiben. Wie wichtig unsere ambulante Pflege ist, belegen ein paar Zahlen. Rund 120 Patienten werden regelmäßig von uns betreut, viele täglich, manche nur einmal die Woche, wenige in noch größeren Abständen. Fünf kleine weiße Autoleinchen sind mittlerweile auf Wendelsteiner und Kornburger Straßen unterwegs und rund 20 Personen arbeiten bei uns in der Ambulanz. Sie kümmern sich um die Menschen, die körperliche und medizinische Hilfe brauchen. Meist sind es ältere Männer und Frauen. Sie duschen, waschen, kämmen, sie helfen beim Anziehen, bringen ins Bett, sie wechseln Windeln, verbinden Wunden, geben Spritzen. Und dazwischen sollen sie die Senioren noch aufheitern, ein gutes Wort übrig haben und ein Lächeln. Und das alles im Minutentakt.
Es klappt sehr gut in unser ambulanten Pflege, weil wir sehr kompetente und engagierte Mitarbeitende haben und mit Claudia Caloin seit knapp 2 Jahren eine richtig gute Pflegedienstleitung. Sie alle verdienen unseren Dank und hohen Respekt für das, was sie leisten. Dank und Respekt gebührt freilich auch all denen, die sich um ihre zu pflegenden Angehörigen kümmern. Das ist manchmal eine gewaltige Aufgabe. Ich erinnere mich an einen Besuch, bei dem plötzlich das Licht ausging und wir im Dunkeln saßen und es so sonderbar schlurfte. "Das ist die Oma," sagten mir die Gastgeber, "sie ist dement. Sie macht das Licht schon wieder an." So war es und so geschah es dann noch einige Male. Was leisten da nicht viele Ehepartner und Familien! Sie haben große Anerkennung und unseren Respekt verdient.
Das alles folgt dem Gebot Gottes. Sie wissen, welches ich meine? Es ist das 4. Gebot. Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass es dir wohlergehe und du lange lebst auf Erden. Vater und Mutter ehren im Alter, das ist die gewaltige Herausforderung, vor der wir stehen, nicht nur die Angehörigen, nicht nur die ambulanten Pflegedienste und stationären Einrichtungen, sondern wir alle, die ganze Gesellschaft. Wie gehen wir mit unseren alten Menschen um, mit unseren Vätern und Müttern jetzt und in Zukunft?
Diese Frage wird in Zukunft noch drängender als bisher. Die Lebenserwartung eines im Jahr 1900 geborenen Mannes war damals durchschnittlich 46 Jahre. Das kann man sich eigentlich gar nicht mehr vorstellen. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines wie ich 1963 geborenen Mannes liegt da schon bei 67 Jahren. Und wer als Junge heute geboren wird, dessen durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 78 Jahren. Bei den Frauen sind das dann immer noch 6 Jahre mehr. Irgendwie Pech für uns Männer! Der Wohlstand und die Medizin erhöhen das durchschnittliche Lebensalter in einem Jahrzehnt etwa um 2 Jahre. Nur der Geist hält immer öfter nicht mit. Der Anteil der Demenzkranken wird in Zukunft weiter ansteigen, solange keine wirksame Therapie gefunden ist.
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass es dir wohlergehe und du lange lebst auf Erden. Das heißt doch: wir alle sind gefordert, unseren Eltern ein würdevolles Altwerden zu ermöglichen. Wenn wir uns die Zahlen der gesellschaftlichen Entwicklung ansehen - die Alten werden älter und die Junge werden weniger -, dann wird man ganz einfach erkennen müssen, dass das die Familien immer weniger leisten können. Sie brauchen Unterstützung durch gute ambulante Dienste, durch Tagespflegen und auch durch gute stationäre Altenpflegeeinrichtungen. Heime nennen wir diese im Allgemeinen. Irgendwie ist das zu einem Schreckenswort geworden. Keiner will ins Heim. Aber es ist unumgänglich, dass es für viele die letzte Heimat sein wird. Deshalb brauchen wir gute Heime haben, gute stationäre Pflege, in denen man würdevoll alt werden kann.
Würdevoll! Was mich bei den Diskussionen und Berichten über die Altenpflege oft ärgert, dass unsere alten Menschen primär als Kostenfaktor gesehen werden. Das ist alles andere als würdevoll. Wenn wir würdevoll mit unseren Eltern und Großeltern umgehen wollen, dann müssen wir zu allererst sehen, was sie für uns alles geleistet haben. Dann steht da die Anerkennung und Dank. Schon mit unserer Haltung, alte Menschen nur als Kostenfaktor zu sehen, fängt die Würdelosigkeit an.
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass es dir wohlergehe und du lange lebst auf Erden, lautet das 4. Gebot. Wissen Sie, was das Besondere und Bemerkenswerte an diesem Gebot ist? Es ist der zweite Teil des Gebots: auf dass es dir wohlergehe und du lange lebst auf Erden. Kein anderes der zehn Gebote, hat so eine Verheißung. Ich habe mich gefragt: Warum eigentlich? Wie soll man das verstehen? Ich verstehe das so: Die meisten von uns werden einmal alt sein, so Gott will und wir nicht vorher sterben. Dann werden wir diejenigen sein, die Hilfe und Unterstützung brauchen. Die Jungen werden dann den Umgang mit uns Alten daran messen, wie wir mit unseren Alten umgegangen sind. Wer seinen Vater und seine Mutter geehrt hat, hat dann vielleicht die Chance, dass auch er würdevoll behandelt wird. Ganz nach der goldenen Regel Jesu: Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Also: Wie ihr im Alter behandelt werden wollt, so behandelt eure Alten.
Es ist gut, sich also ab und zu zu überlegen, wie man selber alt werden will. Ich jedenfalls möchte so lange wie möglich selbständig sein können, in den eigenen vier Wänden leben. So lange es geht, möchte ich daheim bleiben, wenn nötig mit Unterstützung von Pflegekräften. Ich möchte aber auch meinen Kindern nicht zur Last fallen. Dann schon lieber der Umzug in ein Heim, in dem ich würdevoll leben kann, in dem ich meinen eigenen kleinen Bereich habe. Ich kann mir nicht vorstellen im Alter mit einem Wildfremden, der mich nachts vollschnarcht, ein Zimmer zu teilen. Ich möchte, dass Pflegende mit mir reden, mich auch anlachen, ein gutes Wort für mich übrig haben. Und ich wünsche mir von meinem Gott, dass man dann den Humor nicht verliert, weder die, die es mit mir zu tun haben, noch ich selber. Und wenn es gar nicht mehr geht, möchte ich nicht ewig einfach so daliegen. Da hoffe ich dann auf ihn, meinen Gott, dass er mich schon rechtzeitig holen wird.
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass es dir wohlergehe und du lange lebst auf Erden. Das ist ein gutes Gebot für unsere Gesellschaft und auch für einen jeden einzelnen von uns. Deshalb: Ein großes Dankeschön an alle, die sich dafür einsetzen, dass Gottes Gebot und Wille hier auf Erden geschieht. Den pflegenden Angehörigen, den Mitarbeitenden unseres Diakonievereins, den Ehrenamtlichen bei der Betreuung und im Diakonieausschuss, den Mitgliedern des DV, die uns mit ihrem Beitrag unterstützen, und alle, die sich in der Öffentlichkeit für ein würdevolles Altern einsetzen, sage ich ein herzliches Dankschön.
Denkt also daran, wenn mal wieder vor euch so eines kleines, weißes Auto etwas schnittig abbiegt. Schickt ihm euren Dank hinterher und haltet ruhig einen Moment inne und dankt unseren Gott, dass es euch so gut geht und ihr die Fahrerin des kleinen, weißen Autos noch nicht braucht. Amen.
Pfarrer Norbert Heinritz